Zwischen hier und nirgendwo: Betritt Aetherum
„Oh, da bist du ja!“, piepst eine Stimme, kaum lauter als ein Windhauch. „Du bist wirklich hier, oder? Nicht, dass ich schon wieder in der falschen Ecke gesucht hätte... aber ich glaube, heute ist ein guter Tag. Ein ganz ausgezeichneter Tag, um Aetherum zu finden. Das willst du doch, oder?“
Da sitzt es, das Kaninchen – Fell zerzaust, die Ohren schief zur Seite hängend wie alte Wetterfahnen, die zu viele Stürme erlebt haben. Seine Augen glitzern, mal im Licht, mal im Schatten, und es blinzelt dir zu, als wüsste es etwas, was du noch nicht weißt. Sein kleiner Anzug ist ein bisschen zu groß, aus einem Stoff, der mal Samt gewesen sein könnte, und eine Kette baumelt aus seiner Tasche, die offensichtlich schon lange keinen Sinn mehr hat. „Zeit ist sowieso nur ein Gerücht“, murmelt es und kratzt sich am Ohr, als wäre das alles, was es zu sagen gäbe.
„Aber Aetherum!“, ruft es plötzlich. „Du musst kommen, musst wirklich! Es ist alles dort, was hier nicht ist, und noch mehr, was man nicht zu glauben wagt. Weißt du, Aetherum ist nicht einfach da, nein, nein, es ist auch nicht einfach weg! Es ist, wie soll ich sagen... es ist einfach, wenn man es richtig sieht. Oder falsch sieht. Ist das nicht wunderbar?“
Das Kaninchen plappert weiter, als würdest du ihm deine volle Aufmerksamkeit schenken – und vielleicht tust du das sogar, denn seine Worte haben diese klebrige Art, sich in deinen Gedanken festzusetzen, wie ein altes Lied, das du immer falsch mitsingst. „Es gibt ja viele Welten, verstehst du, aber Aetherum, oh, das ist eine Welt für sich. Eine Art Zwischenwelt, würde ich sagen, oder besser, eine Überwelt. Es ist das, was ist und nicht ist, zur selben Zeit, an allen Orten und doch nirgendwo.“ Es starrt dich an, als hätte es den besten Witz der Welt erzählt, den du nur noch nicht verstanden hast.
„Willst du wissen, wie du hinkommst? Natürlich willst du! Jeder will das. Man muss ja gar nicht viel tun, nein, nur ein bisschen... wie nennt man das... oh ja, hinsehen. Nicht hinschauen, nein, hinsehen! Der Unterschied ist wichtig. Man muss da reinsehen, wo der Nebel sich kräuselt und die Luft ein bisschen anders schmeckt, weißt du? Ein bisschen nach dem ersten Schluck eines alten Weins oder nach dem Gefühl, das man hat, wenn man sich an etwas erinnert, das nie passiert ist.“
Das Kaninchen nestelt an seiner Kette und starrt sie an, als würde es darin eine Antwort suchen, deren Frage es schon wieder vergessen hat. „Aetherum hat Tore, verstehst du, aber sie sind nicht wie Türen, die man einfach aufmacht. Sie sind mehr wie... wie kann ich das nur sagen... ah, wie diese kleinen Momente, wenn du denkst, du wärst irgendwo, aber dann bist du es doch nicht. Manchmal sind es Spiegel, manchmal Schatten, manchmal eine Kaffeetasse, die ein bisschen zu tief ist, oder eine Straße, die ein bisschen zu schmal ist, als dass sie eigentlich hier sein dürfte.“
Es streckt seine Pfoten aus und zeichnet eine unsichtbare Karte in die Luft, seine Bewegungen hektisch und doch voller Eifer, als würde es den Weg nach Aetherum tatsächlich vor dir aufblättern. „Manchmal denke ich, es liegt gleich hinter der nächsten Ecke, aber dann ist da wieder nur eine andere Ecke und noch eine, bis du ganz vergessen hast, wo du eigentlich hinwolltest. Aber genau das ist der Trick! Das Vergessen ist wichtig, verstehst du? Man darf nicht zu viel wollen, sonst verheddert man sich.“
Es lässt die Schultern hängen und starrt in die Ferne, als ob es darüber nachdenken würde, was es selbst gerade gesagt hat. Es scheint, als ob seine Welt aus Worten besteht, die sich immer wieder selbst umkreisen, doch da ist etwas Verlockendes an seinen Beschreibungen, ein Duft von unerforschten Möglichkeiten. Es richtet seinen Blick wieder auf dich. „In Aetherum“, sagt es, „da fliegen die Gedanken. Wirklich, ich habe es gesehen! Sie steigen auf wie Blätter im Wind, und manchmal verirren sie sich in den Wolken, und du kannst nur noch zusehen, wie sie sich in Sterne verwandeln.“
Das Kaninchen hüpft von seinem Platz, und plötzlich wirkt es weniger wie ein alter Mann in einem viel zu großen Anzug und mehr wie ein Kind, das gerade ein Geheimnis entdeckt hat. „Die Häuser dort sind... ach, wie soll ich es sagen... sie träumen, glaube ich. Manchmal stehen sie auf und gehen woanders hin, wenn ihnen langweilig wird. Ich habe einmal ein Schloss gesehen, das war ganz aus fließendem Glas, und ein Leuchtturm, der immer ein bisschen unsicher wirkte, weil er nicht wusste, ob er leuchten oder blinken sollte.“
Es lacht dich herzlich an, als wäre das alles vollkommen normal, und vielleicht fängst du an, ihm zu glauben. „Und die Leute, oh, die Leute! Sie sind nicht immer Leute, verstehst du? Manchmal sind sie Fische, manchmal Wolken, manchmal einfach nur Gedanken in einem Hut, den niemand trägt. Einmal habe ich einen alten König gesehen, der immer eine Blume in seiner Hand hielt, die nie verblühte, aber auch nie ganz blühte. Er sagte, es sei sein größter Schatz, aber ich glaube, er wusste selbst nicht mehr, warum.“
Das Kaninchen starrt in die Ferne, als ob es etwas sieht, das du nicht sehen kannst, und für einen Moment scheint es traurig, als ob Aetherum ihm gerade wieder entglitten wäre. Doch dann schüttelt es den Kopf und lacht, ein seltsames, knarzendes Geräusch, das dich an das Schaukeln eines alten Schaukelstuhls erinnert. „Aber genug davon! Du willst doch wissen, wie man reinkommt, oder? Ganz einfach: Du darfst nicht damit rechnen, es zu finden. Es ist wie ein Geheimnis, das sich nur dann offenbart, wenn man es nicht sucht. Die besten Tore nach Aetherum sind die, die man im Augenwinkel erahnt und dann ganz vorsichtig, fast wie zufällig, betritt.“
Es macht einen Schritt seitwärts nach hinten, ohne hinzusehen. Ganz so, als ob es durch genau so ein Tor schreiten würde. Dann hüpft es wieder auf seinen Platz, nestelt an seiner Kette und sieht dich an, als wäre es das erste Mal, dass es dich richtig wahrnimmt. „Aber sei vorsichtig“, flüstert es plötzlich, „Aetherum hat seinen eigenen Willen. Es lässt dich rein, wenn du es wirklich willst, aber es lässt dich vielleicht nicht mehr raus, wenn du dich zu sehr hineinträumst. Man kann sich verlieren, weißt du? In all den Geschichten, all den Möglichkeiten. Aber vielleicht, nur vielleicht, ist das genau das, was du willst.“
Es lächelt, und du spürst, dass hinter diesem Lächeln eine ganze Welt aus Fragen steckt, die du nicht gestellt hast. „Also, komm mit. Oder komm nicht. Du wirst sowieso schon da sein, bevor du es merkst. Aetherum wartet. Immer. Es wartet auf uns alle.“
In deinem Augenwinkel siehst du etwas schillern und du fragst dich… Doch als du den Kopf drehst, ist da nichts, was da nicht hingehören würde.
Deine Schreibmaschine im Schatten,
Nachts auf Papier
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